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Von der silbernen Zunge

Erzählungen von Sinidra Treporda, selbsternannte "Silberzunge von Amhran", am Markttag 25. Ernting 1400:

"... und hoffentlich habt ihr aus dieser Geschichte was gelernt. Ja, wenn sie euch sogar gefallen hat, dürft ihr auch gern ein wenig klingende Münze in den Topf dort vorn geben. Über etwas zu essen freue ich mich selbstverständlich auch, aber ihr wisst ja selbst, ein belegtes Brötchen hält einen im Winter nicht wirklich warm. Nun, meine Lieben, da es dämmert und das Lagerfeuer so gemütlich prasselt, habe ich noch eine etwas unheimlichere Geschichte, die euch sicher den einen oder anderen Schauer den Rücken hinunter jagen wird. Was ich damit sagen möchte, ist: Mütter, bringt bitte eure Kinder zu Bett, denn diese Geschichte ist wahrlich nichts, was ich Kinderohren zumuten möchte. Glaubt mir, mir selbst steckt der Schreck noch tief in den Knochen. Wer noch immer glaubt, stark genug zu sein, der setze sich ein wenig näher, denn solch Geschichten erzählt man nicht lauthals, sondern nur in kleiner Runde.

Gut gut, ich komme wohl nicht umhin, etwas weiter auszuholen, aber anders habt ihr es von mir wahrscheinlich schon gar nicht mehr erwartet. Noch vor meiner Zeit ... unter euch sind, wie ich sehe, einige, die sich vielleicht selbst noch daran erinnern, oder die wie ich aus erster Hand davon erfahren haben: Vom Lehen Laskandor und der Adlerschwinge. Vor der schicksalshaften Nacht, zu der ich noch kommen werde, war Laskandor ein von Mithras geküsstes Lehen! Die Südhänge warfen eine kaum überschaubare Weinernte ab, eine Jahresernte der Kornfelder allein hätte wohl gereicht, um ganz Amhran zu versorgen. In den Flüssen tummelten sich die Fische, der Umbrawald war vom Tirillieren der Vögel erfüllt und wer einmal in den Genuss des Laskandorer Wildbrets gekommen ist, konnte sich wohl kaum einen größeren Gaumenschmaus vorstellen. Ja, die Laskander waren reich beschenkt und die Adlerschwinge stand über dem Lehen und spiegelte all den Reichtum wider, den das Land den Menschen zu trug.

Genau wie wir jetzt hier ums Feuer sitzen, saßen damals wohl auch die Menschen in der Adlerschwinge am Markttag beisammen. Die reiche Rotweinernte ward bestimmt schon eingebracht, das Getreide von den Feldern geholt und die Speicher für den Winter gefüllt. Es schien eine weitere wundervolle Sommernacht im Lehen zu werden, zumindest wenn man nicht genauer hin horchte. Der Umbrawald war stumm geworden! Und vom Moor her zog ein düsterer Nebel auf, der schon bald die Adlerschwinge erreicht hatte.

Der friedliche Sternenhimmel konnte auch nicht über die Schrecken hinwegtäuschen, die sich im Nebel verfangen hatten, und die beunruhigende Stille wurde mit einem Schlag von lauten Schreien zerrissen. Noch hunderte Schritt entfernt konnte man diese Rufe hören, die durch Mark und Bein drangen. Wenig später war der Fleck, an dem man zuvor noch die Umrisse der Adlerschwinge erahnen konnte, einem Feuerball gleich. Ein finsteres Glühen drang durch den Nebel, und bei dem Gedanken an all die Menschen, die wohl auf der Burg in eben jenem Augenblick den Tod fanden, musste es einem schier das Herz zerreißen. Von den umliegenden Gehöften, aus den Wäldern und von den Weinbergen flüchteten die Menschen mit allem was sie auf die Schnelle zusammensuchen konnten, denn der Nebel, den man in der Ferne auf die Burg zu kriechen sehen konnte, machte sich daran, den Rest des Lehens zu verschlingen. Die herzzermahlenden Schreie aus der Burg verebbten langsam zu einem unheilverkündenden Zetern und Jammern, und wer nicht vor dem Nebel flüchtete, der versuchte, vor dem Gräuel jener jammernden Stimmen zu fliehen.

An den Grenzen Silendirs und Nortgards sammelten sich die Verwunschenen zusammen, wer stark genug war, der richtete seinen Blick auf den glühenden Punkt in Laskandor, der Rest jedoch hofft bis heute darauf, die Schrecken jener Nacht zu vergessen. Niemand, das behaupten die Ritter Silendirs und Nortgards, der sich in der Nacht des Düsternebels auf der Burg befand, hat überlebt. Seltsamerweise sind sich Silendir und Nortgard aber immer noch uneins, welchem Lehen man nun dieses Stück Land zusprechen sollte, und wie wir alle wissen, gibt es diesen Zwist nur, weil beide Parteien äußerst interessiert daran sind, Laskandor zu besetzen.

Sicherlich hat der eine oder andere unter euch sich schon gefragt wie es dazu kommt, dass sich Ritter darum streiten, einen verfluchten Flecken Welt zu besitzen.
Ich hab es auch getan und ich wäre nicht die silberne Zunge, wenn ich euch nicht davon zu berichten hätte, was ich auf meiner kleinen Reise durch Laskandor erlebt habe. Aber bevor ich weitererzähle, wollte ich eure Aufmerksamkeit auf den Topf dort vorne lenken. Ich fürchte, in ihm herrscht immer noch eine gähnende Leere. Ja, ja, schaut mich nicht so an.

Die Adlerschwinge war es also, die ich mir auf meinen Reisen als nächstes ansehen wollte. Da ich bis zum 15. Scheiding vor drei Jahren ohnehin in Nortgard zu tun hatte, machte ich mich nach dieser Zeit auf, das verwunschene Lehen zu erkunden. Mir tat sich das Herz auf, als ich über die Nortgarder Grenze nach Laskandor schritt. Von dort aus hat man einen recht guten Ausblick auf weite Teile des Lehens, und aus der Ferne sehen die verwilderten Felder und Weinberge so romantisch aus. Den Blick nach Westen gerichtet, erfasste in jenem Augenblick ein kleiner Windstoß meine Kleider und blies mir den Geruch der reifen Reben in die Nase. Die Mithrasscheibe, die sich schon in den Westen aufmachte, sollte mir den Weg weisen. Durch die im Wind sich wiegenden Getreidefelder bahnte ich mir meinen Weg am Rande eines kleinen Bächleins in Richtung der Handelsstraße.

Kaum vorstellbar, dass dies hier verfluchter Grund sein sollte: Dort blitzten knapp die Ohren eines Feldhasen auf, und in dem gezähmten Wildbach, der neben mir so fröhlich vor sich hinplätscherte, gründelte eine Ente gemütlich vor sich hin. Welch wunderbares Zeichen! Vorbei an einem Gehöft, dessen Tür schon schief in den Angeln hing, waren es nur noch wenige Schritte bis zur Handelsstraße. Es war schon Abend geworden, und da bot sich der Bauernhof doch geradezu an. Als ich durch die offene Tür schritt, bot sich mir ein seltsamer Anblick. Alles schien so, wie man es vor Jahrzehnten zurückgelassen hatte. In der Küche hatte damals wohl jemand zu Abend gegessen, auf dem morschen mit Efeu bewachsenen Tisch stand noch immer ein Tonkrug. Wahrscheinlich hatte sich darin ein erlesener Laskandorer befunden. Der Teller daneben war bis auf ein paar kleine Häufchen Staub, vermutlich Mäusekot aus längst vergangenen Tagen, leer. Das Nachtlager im Heuboden hatte sich auch eine kleine Mäusefamilie ausgesucht - es schien ein hervorragender Platz zu sein!

Das entfernte Krähen eines Hahns rief mich am nächsten Morgen aus meinen Träumen und hielt mich dazu an, weiterzugehen. Selbstverständlich wollte ich die weitere Reise nicht mit leerem Magen antreten und nahm noch genüsslich ein paar belegte Brote zu mir, bevor ich endgültig das kleine Gehöft hinter mir ließ. Gerade hatte ich mich noch am Duft, den die Morgenluft vor dem Bauernhof an mich herantrug, erfreut, als ich in der Ferne auf der Handelsstraße eine Gruppe Bewaffnete ausmachen konnte. Es schien sich um ein paar Nortgarder Späher zu handeln, und mir kamen sie gerade recht, konnte ich mich doch unauffällig an sie halten und das Lehen genauer erkunden, während sie die Aufmerksamkeit unliebsamer Gäste auf sich ziehen würden.

Späher sind ein harscher Schlag Mensch, und sie alle legten auf der Handelsstraße eine beachtliche Marschgeschwindigkeit an den Tag. Glücklicherweise ist man als Barde wohl genauso gut zu Fuß. Ziemlich bald änderten die Kundschafter ihre Richtung und liefen schnurgerade von der Handelsstraße herunter auf die Spitzen der Ruinen der Adlerschwinge, welche man über den Baumwipfeln des Umbrawaldes erahnen konnte, zu. Scheinbar war an der Stelle, an der die Späher die Handelsstraße verließen, einst ein unbefestigter Pfad, wenn nicht sogar ein Karrenpfad. Heute hatte allerdings das umliegende Getreidefeld die Straße erobert. Die Soldaten trampelten einen wundervollen Pfad durch das Feld, und die Reise ging für mich zumindest ziemlich gut voran.

Den Spähern allerdings schien der Marsch durch das Getreidefeld weniger Freude zu bereiten als mir, und sie wurden langsamer und langsamer. So erreichten sie den Waldrand erst gegen Mittag. Wieder musste ich, um nicht aufzufallen, warten bis die Nortgarder weitergingen. Es war ja ohnehin schon schwer genug, sich versteckt zu halten, denn so ein Späher versteht sich ja darauf, Dinge zu finden oder gar zu erspähen. Wie auch immer - nachdem sich die Späher einen Weg in das Unterholz geschlagen hatten und so unabsichtlich den Karrenpfad von der wuchernden Natur befreiten, machte ich mich daran, die Reise fortzusetzen.

Der Umbrawald stand also schwer und düster vor mir, und ich wagte mich auf den Spuren der Soldaten hinein. Gedankenverloren folgte ich der Fährte, die ein ungeschickter Nortgarder in Form von abgerissenen Ästen zurückgelassen hatte, bis ein frostiges Kribbeln an den Knöcheln meine Sinne allzu harsch nach Amhran zurück riss. Es dauerte einen Augenblick, bis ich mich wieder zurechtfand, und einen weiteren Augenblick später lief es mir eiskalt den Rücken hinunter. Ich stand mitten im Umbrawald!

Kein einziger Strahl der Mithrasscheibe erreichte den Waldboden. Dunkelgrün leuchteten die Nadeln des Waldes über meinem Haupt. Über den Boden waberte wie ein dicker Teppich ein geradezu widerlich frostiger Nebel, der für diese Jahreszeit viel zu kalt war. Der Boden war unter diesem steten Mantel schon leicht matschig geworden, und die Feuchtigkeit drang, als ich stehen blieb, langsam durch meine Schuhe. Die Luft roch nach vermoderten, verbrannten Bäumen und schmierigem Schwefel - und das, obwohl die Düsternebelnacht schon so lang zurücklag, dachte ich bei mir. Da fielen mir die Worte der alten Frau ein, die mir von dieser Nacht berichtete: "Der Umbrawald war stumm geworden!" Das hatte sie damals mit einem zeternden Unterton erzählt.

Dort an der Stelle, an der ich mich befand, war es absolut still. Nichts tat sich - kein Vogelgezwitscher, keine Tritte von Rotwild, kein entferntes Bachgeplätscher. Sogar der Wind, der durch die schweren Nadelwaldäste fuhr, war völlig stumm, und keiner der seltsam wiegenden Äste wagte es, ein Geräusch von sich zu geben. Je länger ich darüber nachdachte, desto sicherer war ich mir darin, dass ich keinerlei Geräusche mehr vernommen hatte, seit ich die Handelsstraße auf der Spur der Späher Richtung Adlerschwinge verlassen hatte. Die Nortgarder Späher! Wohin waren sie weitergezogen? Hastig blickte ich über meine Schultern, aber meine Ohren hatten mir wohl einen Streich gespielt, denn hinter mir lag nur der Umbrawald, seelenruhig. "Seelenruhig", murmelte ich vor mich hin, und mit einem Mal war das düstere Gefühl, das mir schon seit geraumer Zeit in den Knochen saß, eine finstere Gewissheit.

Dies war keine Stelle, um länger zu verweilen, und der Nebel, der zunächst nur meine Knöchel bedeckte, gewann immer mehr an Stärke. Als ich das nächste Mal bewusst über den Nebel nachdachte, hatte er bereits meine Kniekehlen in seinem eisigen Griff. Es war an der Zeit, die Beine in die Hand zu nehmen. Wenige Schritte rannte ich von der Stelle, ehe mich eine Wurzel packte und ich stolpernd gerade noch den nächsten Ast greifen konnte, um mich festzuhalten. Dieser aber war wohl genauso morsch wie der gesamte Baum, zu dem er gehörte, und so konnte auch er mir nicht den erhofften Halt bieten. Ich stürzte also zu Boden und lag dort im Umbrawald mit der Backe im Moder vergangener Jahrzehnte. Tief sog ich die feuchte Luft durch meine Nase ein, und gerade, als ich husten wollte, stockte mir der Atem, denn direkt vor meinem Kopf machte der Nebel plötzlich einem schrecklichen Anblick Platz. Halb im schlammigen Boden vergraben, grinste schmerzverzerrt ein Schädel in meine Richtung. Mehr brauchte es nicht, um mich in Windeseile aufstehen zu lassen.

Abermals blickte ich über die Schultern und ging einige Schritte rückwärts: Da war doch ein Geräusch hinter mir gewesen! Ein Geräusch wie schweres Atmen, ein Schlurfen und gar nicht allzu weit entfernt konnte ich sogar ein Finsterlicht ausmachen. Ein Teil von mir starrte erwartungsvoll in Richtung des größer werdenden Feuers, doch der vernünftigere Teil gewann, und so wandte ich mich ab. Wie es sich auf der Flucht vor einem Finsterlicht gehörte, schritt ich gemäßigt in die andere Richtung und würdigte es keines Blickes mehr. Irgendwo mussten die Späher sein, vielleicht konnte ich dort Schutz finden. Das Schlurfen und Atmen verstummte nach einiger Zeit und ließ mich wieder in der völligen Stille des Waldes. Es war mittlerweile Abend geworden, der Nebel war schon seit geraumer Zeit auf Brusthöhe heran gekrochen und machte sich daran, mir die Sicht völlig zu nehmen. Selbst, wenn ich rennen hätte wollen, sagte ich mir, wie weit würde ich wohl kommen, ohne wieder über eine Wurzel zu stolpern, um dann wieder einem Schädel in die hohlen Augen blicken zu müssen? Keine fünf Schritt, beantwortete ich mir die Frage selbst.

Gerade hatte ich mich damit abgefunden, in dieser Nacht kein Auge zuzumachen und einfach auf gut Glück in die Dunkelheit hinein zu laufen, als rechts neben mir die Geräusche aufeinander prallender Waffen meine Aufmerksamkeit auf sich zogen. Ich zog meinen Langdolch und huschte geduckt, sodass ich direkt unter der Obergrenze des Nebels lief, in Richtung der Kampfgeräusche. Ich musste nur wenige Schritte machen, bis ich so nah am Geräusch der Waffen war, dass ich glaubte, selbst eine der Klingen zu führen. Knapp hob ich mein Haupt aus dem jetzt schützenden Nebel, nur um es einen Moment später wieder darin zu verbergen. An der Hütte standen fünf mir bekannte Nortgarder, die Späher, denen bereits schwer zugesetzt wurde und vier Skelette, die die Soldaten wohl nicht so gerne im Umbrawald sahen. Mein Langdolch würde gegen diese Knochen nichts ausrichten. Rasch machte ich mich am dicksten Ast zu schaffen, den ich am nächstbesten Baum fand. Mit dieser unbeholfenen Keule in den Händen schickte ich mich an, wieder geduckt näher ans Geschehen heran zu kommen. Schließlich kam vor mir im Nebel ein Hüftknochen und ein knochiges Bein zum Vorschein. Weit holte ich zum Schlag aus, und mit aller Wucht zimmerte ich auf dieses abartige Ungetüm ein. Die Knochen splitterten und einen kurzen Augenblick erfüllte mich ein Glücksgefühl. Doch neben mir standen noch drei weitere Skelette, und den Soldaten, die jetzt klar in der Überzahl waren, war wohl am besten geholfen, wenn ich mich schnell aus dem Gefecht zurückziehen würde.

Kaum hatte ich den Nebel verlassen und es mir auf dem Dach der Hütte gemütlich gemacht, verstummte der Kampfeslärm und die Soldaten richteten einige dankende Worte an Mithras, ehe sie wieder in die Hütte gingen. Die Nacht auf dem Dach der Holzfällerhütte im Umbrawald werde ich wohl kaum jemals vergessen, hat mich doch fernes Wolfsgeheul immer wieder aufhorchen lassen. Schlussendlich konnte mich dann aber doch der unheimliche Singsang, der aus Richtung der Adlerschwinge ohne Unterbrechung vor sich hingaukelte, in einen wenig erholsamen, von Alpträumen zerfressenen Schlaf wiegen.

Viel zu kurz war die Nacht, als Hufgetrappel mich am frühen Morgen im Umbrawald aus dem Schlaf riss. Das schräge Dach der Hütte tat seinen Teil dazu, und schlaftrunken wie ich war, fiel ich rücklinks vom Dach der Hütte auf die modrigen Holzscheite, die hinter der Baute aufgeschichtet waren. Zunächst war ich doch arg erbost darüber, was mir Mithras da zumutete, aber als ich wenig später dem Reiter nachblickte und erkannte, dass es sich um einen Dullahan handelte, der Richtung Adlerschwinge ritt, löste sich meine Wut in ziemlich große Dankbarkeit auf. Denn zu so früher Stunde hatte ich keine Lust auf ein Geplänkel mit einem solch finsteren Zeitgenossen gehabt. Kaum war der Dullahan aus dem Sichtfeld verschwunden, hörte ich, wie die Tür der Hütte aufgetreten wurde. Scheinbar hatten die Nortgarder die Nase gestrichen voll vom Umbrawald. Die einen aufrecht gehend, die anderen humpelnd, verließen die Späher die Hütte in die Richtung, aus der wir alle am Vortag gekommen waren.

Mich selbst jedoch zog es in Richtung Adlerschwinge, schon allein um mir anzusehen, was ein Dullahan dort wohl noch an gespenstischen Abenteuern erleben wollen würde. Der Nebel der gestrigen Nacht war bis auf einen dünnen Hauch, der nach wie vor den Boden überdeckte, verschwunden, und die Spuren, die das Pferd im schnellen Galopp hinterließ, waren allzu leicht zu entdecken. So setzte ich also nun mutterseelenallein meine Reise durch den wohl finstersten Ort Amhrans fort. Vorhin habe ich davon erzählt, das Hufgetrappel hat mich geweckt - wer sich jetzt vorstellt, die Sonne hätte fröhlich auf mich herab geschienen und die Vögel hätten gesungen, als ich den Hufspuren gefolgt bin, der liegt so weit daneben, wie ein Riese einen Felsen werfen kann. Der Nebel waberte in dem unwirklichen Licht, das durch die dunklen Nadeläste schimmerte, und nach wie vor lag der Geruch von Schwefel in der Luft. Immer bereit, den Langdolch in irgendwelche Unwesenheiten, die sich hinter dem nächsten Baumstumpf verkrochen haben mochten, zu rammen, huschte ich meiner Wege. Die anhaltende Stille trieb mich langsam in den Wahnsinn, und irgendwann begann ich mich zu wundern, warum es noch Wölfe im Umbrawald gab, wenn dort doch kein einziges Beutetier zu leben schien.

Fast wünschte ich mir sogar den seltsamen Singsang aus der Nacht herbei, um nicht ganz allein mit meinen Schrittgeräuschen zu sein. Unvermittelter Dinge bekam ich eine Gänsehaut und beinahe reflexartig, jedenfalls ohne lange nachzudenken, warf ich mich hinter den nächsten umgefallenen Baumstumpf und versteckte mich so gut wie möglich, um nicht vom Weg aus gesehen zu werden. Kaum hatte ich mich hinter dem Stumpf zusammen gekauert, hörte ich auch schon Schritte. Es waren schwere schlurfende Schritte, und ein äußerst unangenehmes Röcheln drang an meine Ohren. Fest umgriff ich den Langdolch in meiner Linken. Soll dieses Ungetüm ruhig zu mir schlurfen - sonderlich schnell kann es bestimmt nicht sein, dachte ich bei mir und machte mich endgültig kampfbereit. Doch das Schlurfen entfernte sich von mir, anstatt näher zu kommen. Es war also Zeit nachzusehen, was da an mir vorbei röchelte. Knapp blinzelte ich über den Baumstumpf: Ein Zombie, der einen Handkarren in Richtung der Holzfällerhütte zog. Die Ladung war abgedeckt, zu gerne hätte ich herausgefunden, was er transportierte, aber viel spannender schien mir damals, woher die Ladung wohl kam.

Mit neu entflammter Neugier machte ich mich daran, schneller zur Adlerschwinge zu gelangen. Wenig später erreichte ich endlich den Waldrand. Die Adlerschwinge, selbst die verbrannten Überreste dieser Burg, stand noch mächtig auf dem Fels vor mir. Und seltsamerweise herrschte hier recht geschäftiges Treiben: Durch das große Tor der Burg liefen andauernd Personen - auf die Entfernung sah es zumindest so aus - und unter die Burg war ein dunkler Tunnel in den Fels getrieben worden. Je länger ich mir das alles ansah, desto seltsamer schien es mir. Hier dürfte es keinen Funken Leben geben. Wieder verließ eine Person das Stadttor, diesmal aber durch fuhr es mich wie ein Blitz: Dem Wesen fehlte der linke Arm oder vielmehr die gesamte linke Hälfte, dennoch schleppte es sich mit einer Spitzhacke in der Hand aus dem Tor in Richtung der Höhle. Bei genauerem Hinsehen konnte ich von meiner Position am Waldrand nun auch erkennen, dass die Soldaten, die am Tor und an der Höhle Wache standen, verflucht blass um die Nase waren.

Es wäre gewiss spannend gewesen, herauszufinden, was auf dieser Burg geschah, aber allein gegen eine Armee von Zombies und Skeletten anzustürmen, schien selbst mir unvernünftig. Wer würde so viele Skelette erschaffen - oder waren sie nach der Düsternebelnacht aufgetaucht, oder sind es gar die gepeinigten Seelen derer, die dort dereinst auf der Burg weilten? Ein Wiehern riss mich aus meinen Überlegungen. Neben mir preschte ein Dullahan aus dem Gebüsch. Der kopflose Reiter schwang sich von seinem Ross, und ich bin mir sicher, wenn er einen Mund gehabt hätte, dann wäre er schreiend in Richtung Adlerschwinge weiter gerannt. Wenige Augenblicke später war der kopflose Ritter nahe genug an die Festung heran gestürmt, um den ersten Skeletten das Leben schwer zu machen. Sein Pferd aber ließ der Gute kaum fünf Schritte neben mir stehen. Wie es diesem verfluchten Wesen gelang, ein lebendiges Pferd zu bändigen, ist mir bis heute ein Rätsel, aber in jenem Moment war es mir egal. Ich schwang mich also auf das Ross, welches mich wohl für einen wesentlich freundlicheren Reiter hielt, und verließ den Umbrawald, so schnell es mir die Hufe des edlen Tiers ermöglichten.

Wie ihr seht, gelang mir die Flucht aus dem Wald ohne Probleme, sonst würde ich wohl kaum vor euch sitzen. Weil ich gerade einige von euch in Richtung der Stallungen blicken sehe: Das Pferd dort ist meines, sein alter Besitzer war kein allzu guter Mensch..."